Das bestens gelungene Schnetztorfest 2022 hat mehr denn je Besucher aus nah und fern in den altehrwürdigen Schnetztorturm gelockt. Ich gehe von mindestens 200 Besuchern aus, darunter viele Kinder. Unser Vereinsheim hat sich wieder einmal als ein Magnet für viele historisch Interessierte und als steter Quell für Fragen erwiesen. So z. B., warum und wann die Befestigungsanlagen von Konstanz abgebrochen worden sind. Wieviel Türme und Tore hat es denn überhaupt gegeben? Usw. usw. Ich muss gestehen, dass mein Mitstreiter bei der Turmaufsicht, Erich Hinninger, und ich solche Fragen oft nur teilweise oder gar nicht beantworten konnten. Nun lebt man ja mit der Vorstellung, dass alles irgendwo geschrieben steht und man nur nachzulesen brauche, was, wann, wo und warum geschehen ist. Pfeifendeckel! Ich musste etliche Bücher und Schriften wälzen, um dem Thema einigermaßen umfassend auf die Spur zu kommen.

Konstanz gehörte anfangs des 19. Jhd. zu den Städten, die ihr mittelalterliches Aussehen nahezu unverändert bewahrt haben. Unter vorderösterreichischer Verwaltung war Konstanz von der einst bedeutenden, äußerst wehrhaften Handelsstadt – Konstanz wurde nie eingenommen – und Sitz des größten Bistums nördlich der Alpen zu einer unbedeutenden Kleinstadt heruntergekommen. Zunehmend von der großen Welt abgeschnitten dämmerte die Stadt in die Bedeutungslosigkeit hinüber.

Schon zu Beginn des 19. Jhd. haben aber verschiedene Kräfte und Strömungen sich damit beschäftigt, die Stadt aus der Isolation zu führen. Politisch war der Liberalismus als Folge der Aufklärung auf dem Vormarsch, in der Industrie war bereits das Dampfzeitalter in vollem Gange und militärisch konnten mittelalterliche Befestigungsanlagen den Geschützen der Artillerie schon lange keinerlei Paroli bieten, d. h. sie waren überflüssig geworden. Dazu kam das Bedürfnis, die mittelalterliche Enge und dumpfe Dunkelheit der Gassen hinter den Mauern zu verlassen, Licht und Luft in die alten Gassen und Straßen und – nicht zuletzt – auch in die Köpfe zu bringen.

Dies alles hat zum Abbruch nahezu aller Befestigungen in Konstanz geführt – unter ganz verschiedenen Vorzeichen allerdings:

  • Etliche Tore und Türme waren baufällig, die man hätte instand halten müssen. Dazu verfügte man weder über Geld, noch erschloss sich den Stadtvätern der Sinn solcher Maßnahmen. Bereits 1812 verschwand so das Innere Schottentor und 1832 wurde der alte Galgen im Paradies zum Abbruch ausgeschrieben und das Mauerwerk versteigert. Man brauchte ihn nicht mehr!
  • 1833 trug Bürgermeister Karl Hüetlin dem Stadtrat die Idee vor, zum Bau eines neuen Hafens für die aufkommende Dampfschifffahrt den Pfennigturm – ein Anbau am Kaufhaus (Konzilsgebäude) zur Aufbewahrung des Schatzes (Leiner), das äußere Schottentor, den Schnetztorturm (!), den Emmishofer Torturm einschl. der Stadtmauer vom Schnetztor bis zum Pulverturm in der Laube abzubrechen, um günstig Steine zum Bau der Hafenmole und des Leuchtturmes zu gewinnen.Der neue Dampfschiffhafen wurde schließlich von 1839 bis 1842 gebaut.Das Schnetztor und die alte Stadtmauer (12. Jhd.) bis zur Bruderturmgasse rettete zunächst die Zollgrenze (Wikipedia: Der Deutsche Zollverein war ein Zusammenschluss von deutschen Staaten für den Bereich der Zoll- und Handelspolitik, dem Konstanz 1835 beigetreten war.), welche vom Schnetztor bis zum Pulverturm bzw. See verlief. Später verhalfen die Einsprüche einflussreicher, am Erhalt der alten Konstanzer Bausubstanz interessierter Bürger, vor allem der streitbare und sehr heimatverbundene Apotheker Ludwig Leiner, zum Fortbestand wenigstens dreier Türme und Teilen der Stadtmauer.Bürgermeister Karl Hüetlin verfolgte indessen seine Pläne zum Abbruch der alten Befestigungsanlagen weiter und schreckte hierzu auch nicht vor intriganten Spielchen und Lügengeschichten im Umgang mit den Behörden zurück, was ihn im Jahr 1849 sein Amt kostete – er wurde von Staats wegen abgesetzt. Zugute halten muss man ihn, dass die hohe Arbeitslosigkeit in Konstanz ein großes Problem darstellte und der Abbruch der alten Befestigungsanlagen eine willkommene Arbeitsbeschaffungs-maßnahme bot. Dies sahen auch etliche Stadträte so, selbst solche, denen der Erhalt der mittelalterlichen Substanz am Herzen lag. Und – Hüetlin lag das Wohl der Stadt durch Modernisierung der Bausubstanz und Einführung moderner Verkehrsmittel wirklich sehr am Herzen!
  • Und dann kam die Eisenbahn nach Konstanz! Der Brand der alten Rheinbrücke in der Nacht zum 1. Juni 1856 begünstigte die Verlegung des vorläufigen Endpunktes der Badischen Hauptbahn auf die Schokoladenseite von Konstanz, weil damit auch der Bau einer neuen Brücke an zweckmäßiger Stelle verbunden war. Dem Bahnbau (1858-61) fiel seinerzeit die Stadtmauer einschl. aller Tore und Türme zwischen Rheintorturm und Konzilsgebäude zum Opfer.
 

Ausschnitt aus dem Stadtplan von Nicolaus Hug,1826: Noch vorhanden, aber nicht komplett dargestellt, sind die Tore und Türme und die Stadtmauern des 12./13. Jhd. (Innere Ringmauer, nur noch teilw. vorhanden) und des 14./15. Jhd. (Äußere Ringmauer) sowie die doppelte Palisadenreihe im See und im Rhein vom Raueneggturm (16) bis zur Einmündung des Saubachs im Paradies auf Höhe (32). Ebenfalls deutlich zu erkennen sind die ehemaligen Schanzanlagen aus dem 16. Jhd., worauf heute noch Straßennamen und Örtlichkeitsbezeichnungen wie Alter Wall, Alter Graben, Schänzle u. a. hinweisen.

Die Türme und Tore der Konstanzer Stadtbefestigung

Bestand um 1600 / Anfang des 19. Jhd.; Nummern siehe Stadtplan

  1   Pulverturm (auch Juden-, Ziegelturm)

  2   Brochenturm; Abbruch 1838?

  3   Äußeres Schottentor (auch „altes S.“); Abbruch 1838

  4   Inneres Schottentor (auch „Bischofstor“); Abbruch 1812

  5   Bündrich Tor; Abbruch 1838?

  6   Inneres Paradieser Tor (auch „Rintburg(er)“-, „Rindport(er)“-, „Geltinger“-, „ Hegelins“-, „Hägelistor“); Abbruch 1837

  7   Lienhardstor; Abbruch 1840?

  8   Mochlisturm; Abbruch 1840

  9   Bärtschisturm; Abbruch 1840

10   Emmishofer Tor; Abbruch ab 1855

11   Hässlisturm (auch „Haslisturm“); Abbruch 1837/38

12   Ruhentürmle; Abbruch 1837/38

13   Kreuzlinger Tor; Abbruch 1865/66

14   Ackertor; Abbruch 1837/38

15   Müntzistor; Abbruch 1845

16   Raueneggturm (auch „Raueneck“); Abbruch 1861

17   Beintürmle (auch „Brenntürmle“); Abbruch 1861

18   Schnetztor (laut Stadtplan von Nikolaus Kalt um 1600 „Schnätz-Thurn“)

19   Bruderturm; Abbruch 1866

20   Augustinertor (auch „Schlachttor“); Abbruch 1872

21   Wachtürmle; Abbruch 1828

22   Griestürmle; Abbruch 1828

23   Türmle beim Aberhagken (= städt. Bauhof); Abbruch 1828

24   Dammtor; Abbruch 1828

25   Fischertor (mit dem Steuerhaus); Abbruch 1832?

26   Trompetertürmle; Abbruch ab 1858 (Bau der Eisenbahn 1858-61)

27   Äußeres Predigertor; Abbruch ab 1858 (Bau der Eisenbahn 1858-61)

28   Inneres Predigertor; Abbruch ab 1858 (Bau der Eisenbahn 1858-61)

29   Rheintorturm

30   Oberes Petershauser Tor (auch „Ober“-, „Lorettotor“); Abbruch 1876?

31   Unteres Petershauser Tor (auch „Niederes P. T.“, „Unteres P. T.“, „Götzentor“); Abbruch 1876?

32   Grießeggturm; Umbau in Wohnhaus 1835?

33   Äußeres Paradieser Tor; Abbruch 1835

 

Abbruch der Stadtmauern

Der Abbruch der Stadtmauern, vor allem der äußeren Ringmauer, geht natürlich mit dem Abbruch der Tore und Türme einher. Indessen erfolgt er abschnittsweise und gehorchte mehr den jeweiligen Bedürfnissen bzw. den mit dem Abbruch verbundenen Zwecken.

1828       Beim Abbruch des Dammtores und einiger Türme (siehe Liste) verschwindet auch der zugehörige Teil der Stadtmauer. Man wollte so den Zugang zum See verbessern. In Wahrheit war es eine vorbereitende Maßnahme für den Hafenbau.

1837/38 wird die Stadtmauer zwischen dem Kreuzlinger und dem Emmishofer Tor abgebrochen.

1839      Die Äußere Ringmauer zwischen Schnetztor und dem Pulverturm wird auf der Stadtseite, also innen, auf eine Höhe von 10 – 12 Fuß* = 3,0 – 3,60 m (badischer Fuß = 30 cm) heruntergebrochen. Zuvor hatte Bgm. Hüetlin bei der Zollverwaltung erwirkt, dass die sog. Seilergänge (Wehrgänge) einschl. der Ziegeldeckung der Mauerkrone abgebaut werden durften. Die Mauerkrone war somit Wind und Wetter ausgesetzt und begann zu verwittern. Dies wiederum bedeutete ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung wegen herabfallender Mauerteile, was letztendlich zu dem vorgenannten Teilabbruch führte.

1840      folgt ein Teil der Ummauerung der Kreuzlinger Vorstadt zwischen dem Lienhardtstor und dem Bärtschisturm sowie in Richtung der Unteren Laube.

1848      Die bereits teilweise abgebrochene Äußere Ringmauer (siehe 1839) wird auf „Brusthöhe“ abgebrochen. Dabei entbrennt ein von Hüetlin zu verantwortender Streit darüber, worin der Unterschied zwischen „Manns“- und „Brusthöhe“ besteht.

1858-61 Im Zuge des Eisenbahnbaus wird die Stadtmauer zwischen dem Kaufhaus (Konzilsgebäude) und dem Rheintorturm abgebrochen.

Die „alte“ Stadtmauer (welche?) war am außen liegenden Graben 28 Fuß = 8,40 m und am hinteren Gang, also stadtseitig, 22 Fuß = 6,60 m hoch.

Es wurden damals beileibe nicht nur die alten Befestigungsanlagen abgebrochen. Die im Zuge der Säkularisation von 1803 in Baden „überflüssig“ gewordenen Klöster und Kirchen wurden großteils abgebrochen, brauchbare Säle und Hallen benutzte man für andere Zwecke. Darunter waren zweifellos auch etliche baufällige Gebäude, für die einerseits das Geld zur Sanierung fehlte, andererseits deren Einsturz befürchtet werden musste. In Konstanz wurden die Klosterkirche Petershausen, das Augustinerkloster (um die heutige Dreifaltigkeitskirche), der Salmannsweiler Hof am Fischmarkt, die Kirchtürme St. Johann (St. Johanngasse) und St. Paul (Hieronymusgasse), die Kirche St. Jodok (Wessenbergstraße)  und die bischöfliche Pfalz beim Münster abgebrochen, um nur einige zu nennen. Die nutzbaren Räume (Kirchenschiffe, Klosterzellentrakte usw. ) widmete man in Kasernen, Schulen, Lagerräume, Tanz- und Festsäle usw. um. Und irgendwie war das auch eine Abrechnung mit den bisherigen Macht-systemen – die französische Revolution von 1789 lässt grüßen!

Nun – historische Bausubstanz wurde auch im 20 Jhd. noch fleißig beseitigt. Man denke nur an die Ausradierung eines ganzen Stadtviertels für den Bau des Kaufhauses Hertie (1961). Darunter waren echte Prachtstücke, wie z. B. das Haus „Zum Weißen Pfau“ u. a..

Inzwischen ist es ruhiger geworden, aber kurios kann es immer noch sein. So beim inzwischen fertiggestellten Neubau des Bürogebäudes von Meichle & Mohr im Industriegebiet, wo ein ehemaliges Wirtshaus erhalten werden muss, das bis dahin als baufälliger Schandfleck auf seinen Abbruch gewartet hatte…

Peter Längle

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Quellen:

  • Geschichte der Stadt Konstanz, Band 1 / Maurer, 1989 – Stadler Verlagsgesellschaft mbH Konstanz
  • Konstanz, alte Stadt in Bildern / Hofmann, 1978 – Verlag Friedr. Stadler Konstanz
  • Der Konstanzer Bürgermeister Karl Hüetlin und seine Zeit (1832-1849) / Fetscher, 1988 – Südkurier GmbH Konstanz
  • Das alte Konstanz / Wolf, 1966 – Verlag Friedr. Stadler Konstanz
  • Das DelphinBuch 11: Von Mauern, Türmen und Gräben / Blechner, 2013 – Labhard Medien GmbH Konstanz